Auf dem Weg nach Dragarska dolina
Wenn ich der Straße südlich der Siedlung Hrib – Loški Potok folge, begleitet mich eine ruhige, grüne Umgebung, die in dieser Herbstzeit von roten, warm braunen und orangen Nuancen belebt wird. Den Stadtrummel habe ich weit hinter mir gelassen, jetzt fahre ich durch Ortschaften, die sich mit einer hochen Einwohnerzahl leider nicht rühmen können. Der Weg führt mich durch die Wälder und wenn ich zwei bekannte Wegweiser erblicke, die auf die Straße zeigen, die sich über mit Wald bewachsenen Plateaus bis Stari und Novi Kot schlingt, wobei der erste Geburtsort meines lieben verstorbenen Großvaters ist, lächle ich. Ich bin nah.
Nach der Siedlung Lazec lasse ich mich bis Podpreska hinunter, wo sich vor mir die Aussicht über das Tal Dragarska dolina unter den dinarischen Plateaus von Travljanska gora öffnet, wo die Siedlungen Podpreska, Draga, Srednja vas bei Draga (Suchen) und Trava (Obergrass) liegen, etwas weiter in Richtung der kroatischen Grenze und schon etwas mehr in einer Umarmung vom umliegenden Bergland befinden sich aber noch Podplanina, Pungert und Črni Potok pri Dragi. Dieser Raum ist sehr eng mit der Geschichte meiner Familie verflochten und er ist mir vor allem aus interessanten Erzählungen meiner Großeltern bekannt. Obwohl ich in dem Teil Sloweniens nicht viel Zeit verbracht habe, empfinde ich bei jedem Besuch ein ungewöhnliches, etwa nostalgisches Gefühl der Gemütlichkeit, das mich zur Erforschung dieser entlegenen, aber überaus schönen Ortschaften anregt.
Denkmal in Novi Kot
Vor kurzem bin ich während meines Besuchs in Novi Kot auf das Denkmal gestoßen, das den während des zweiten Weltkrieges gefallenen BewohnerInnen von Stari und Novi Kot – sowohl den KämpferInnen als auch Internierungsopfern sowie Geiseln – gewidmet ist. Auf dem Denkmal stehen auch die Namen der Mutter meines Großvaters sowie seiner Schwester, von denen ich schon gewusst habe, dass sie in der Internierung gestorben sind. Ich habe angefangen mir Fragen zu stellen, in was für einer Situation sich die Kinder nach der Rückkehr in ihre Heimatorte wiedergefunden haben, z. B. mein Großvater und seine zwei Brüder, die damals 10 bis 14 Jahre alt waren und deren Vater während des Krieges in Amerika geblieben ist, wonach zahlreiche BewohnerInnen aus diesen Ortschaften ausgezogen sind, um nach einem besseren Leben zu suchen. Bei der Suche der Antwort bin ich auf Merkwürdigkeiten gestoßen, die mir bisher unbekannt waren, aber gleichzeitig hat sich die Möglichkeit geboten, diesem Thema den vorliegenden Artikel zu widmen.
Dragarska dolina und ihre Bewohner
Das Gebiet vom Tal Dragarska dolina und von in einer Umarmung geräumiger Wälder eingefügten umliegenden Ortschaften, wie z. B. Stari und Novi Kot, wurde durch die Geschichte durch ein schweres Leben und Armut sowie Schmuggel im 17. Jahrhundert und der Aussiedlung von gottscheerischen Deutschen während des zweiten Weltkrieges geprägt. Die letztere hat zwischen den Jahren 1939 und 1945 einige meist blutige Seiten der menschlichen Geschichte geschrieben und danach ist die Bewohnerzahl auch da steil gesunken. Verlassene Landwirtschaftsflächen, ausradierte Orte, enormer materieller und wirtschaftlicher Schaden, Änderungen politischer Systeme, schartige Beziehungen und vor allem Millionen zu früh ausgelöschter Leben sind einige der dunkelsten Folgen der (Nach)Kriegszeit.
Das Gebiet vom Tal Dragarska dolina war in seiner Vergangenheit mehrsprachig, was bis zu einem Teil die unmittelbare Nähe von Kroatien mit sich bringt. Zugleich wurden mit dem Wunsch nach einer beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung deutschsprachige Bauer, auch sog. Gottscheer dahin gebracht, die im Mittelalter aus Kärnten die adlige Familie Ortenburg angesiedelt hat. Aber Leute sind auch von anderswo zugezogen; z. B. eine kurze Forschungsarbeit über die Herkunft meines Nachnamens gibt an, dass die Trohas aus Tschechien stammen, woher sich meine VorgängerInnen im 15. Jahrhundert zuerst in Babno Polje angesiedelt haben und Mitte des 19. Jahrhunderts dann Johann bzw. Janez Troha in Stari Kot angeheiratet hat.
In den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg war das Leben auf diesem Gebiet zwar bescheiden, aber ruhig. Marta Steiner hat mir anvertraut, dass am Anfang des 20. Jahrhunderts, nach der Auswanderung zahlreicher Männer nach Amerika, das Gebiet »das große Elend« genannt wurde. Trotzdem haben die zurückbleibenden BewohnerInnen »zusammen gehalten«, Trennungen wie z. B. zwischen Slowenen und Deutschen waren lasch, sogar nicht existent: »Damals waren wir alle das Eine, wir haben zusammen in Eintracht gelebt.«
Das ganze Tal, das heutzutage vom Leben ausgeraubt zu sein scheint, war damals sehr lebhaft. In Trava wurden z. B. jedes Jahr drei Messen abgehalten, sie hatten ein Gasthaus und Handwerker, sodass es, zwar bescheiden, aber nicht schwer zu überleben war. Das Dorf Draga war mit noch zwei Gasthäusern, einem Geschäft und einem Postamt eine Art Gesellschaftszentrum des Tales. Leute haben einander geholfen und sind zusammengekommen. Die Kinder aus den umliegenden Ortschaften hat die legendäre Lehrerin Nada Vreček unterrichtet, die für ihre eifrige Arbeit bekannt war. Sie hat in der Schule in Trava seit dem Jahr 1929 55 Jahre gearbeitet und drei Generationen unterrichtet.
Zweiter Weltkrieg
Der Krieg hat im Tal Dragarska dolina sowie in umliegende Ortschaften im Jahr 1941 um sich gegriffen, als nach langen Monaten des angespannten Verfolgens von Nachrichten aus der Richtung von kroatischen Čabar in Novi und Stari Kot die ersten italienischen Stiefel einmaschiert sind. Alojz Miklič hat in seinen Notizen betont, dass »die Römer« ihnen alles Mögliche versprochen haben, vollkommene Freiheit und Gleichstellung, sowie den Gebrauch der eigenen Sprache, doch »sie haben bald angefangen verschiedene Aufschriften in Ämtern und an den Straßen zu italianisieren. Die Volksschule wurde in »Scuola populare« umbenannt und Italienisch ist zu einem Pflichtschulfach geworden. Der Unterricht wurde von einem italienischen Lehrer übernommen und die einheimische Lehrerin Nada Vreček ist für einige Zeit über die Grenze nach Čabar in Kroatien geflüchtet.
Die italienische Besatzung des Gebietes war einer der Gründe für die Auswanderung gottscheerischer Deutschen aus dem Tal Dragarska dolina im Jahr 1942. »Als die Gottscheer ausgewandert waren, war es aber sehr tragisch,« erinnert sich Marta Steiner und sie beschreibt, wie sie schnell eingeladen wurden, ihren Besitz aber, wofür es auf den Lastkraftwagen keinen Platz gab, anstandslos hinuntergeworfen wurde. »All das zusammen wurde so roh gemacht,« fasst sie bitter den plötzlichen Aufbruch zahlreicher Nachbarn zusammen, die danach von deutschen Truppen in damals leeren Häusern in Posavje angesiedelt wurden, dessen BewohnerInnen im Vorhinein in ein Arbeitslager verschleppt wurden.
Aber damit hat es mit dem Gräuel im Tal Dragarska dolina und Umgebung erst angefangen. Im Jahr 1942 haben Partizanen die auf der höheren Ebene liegende Kirche und die Schule in Trava niedergebrannt, um den Italienern den Zugang zur guten Aussicht zu verhindern. Im gleichen Jahr haben Italiener die Dörflein Stari und Novi Kot bis zum Boden niedergebrannt und dortige BewohnerInnen in die Internierung verschleppt – zuerst auf die Insel Rab und später nach Gonars – damit sie nun Partizanen keinen Zufluchtsort und kein Versteck bieten könnten. Die BewohnerInnen von Trava wurden vorübergehend nach Draga ausgesiedelt und drei Monate später sind sie mit anderen BewohnerInnen des Tales nach Trava zurückgekehrt, die der Besatzer eingezäunt und drinnen italienische Stützpunkt hergestellt hat. Damals war der Großteil der Häuser im Dorf leer.
Erinnerungen an den Krieg im Dragarska Tal (Suchenertal)
Obwohl seit der italienischen Besatzung schon fast 80 Jahre vergangen sind, haben sich diese Ereignisse bei Marta Steiner und Rudolf Malnar, die damals noch Kinder waren, gut in Gedächtnis eingeprägt. Marta Steiner erinnert sich, dass es im Dorf keine Männer mehr gab: »Falls sich wer, wie soll ich sagen, zu Hause versteckt hat, wurde er schnell gefunden. Sie haben verschiedene Hausdurchsuchungen in der Umgebung gemacht und diejenigen Italiener, die da Schützpunkte hatten, das war grausam.« Im Dorf herrschten Angst und Hunger, hungrige Kinder haben sogar Italiener um die Abendessensreste angebettelt, die in einem der leeren Häusern ihre Küche hatten: »Wir Kinder, die nichts zum Essen hatten, sind mit kleinen Kannen dorthin stehen und warten gegangen, falls ihnen was vom Abendessen übriggeblieben ist, dass sie uns in diese Kannen reingegeben haben«.
Jüngere Kinder, vor allem Jungen, sind trotz der schweren Verhältnisse schelmisch geblieben. Z. B. Rudolf Malnar erzählt, dass er einem Offizier aus seiner hinteren Hosentasche heimlich die Pistole genommen und sie danach –ebenso heimlich – auch zurückgegeben hat. Er erinnert sich auch, wie Jungen Flinten aus Holz zum Spielen gemacht haben, um Partizanen und Italiener spielen zu können, in deren kindlichen Neugier und Unwissenheit haben sie aber sogar mit einer gefährlichen Waffe gespielt, was heutzutage unvorstellbar ist. »Diese italienischen Bomben, wir haben sie Paradeiserinnen genannt, wir haben sie zerlegt, drinnen gab es aber so ein Bleikügelchen, es ist uns darum gegangen,« erinnert er sich und erzählt, wie einem Freund von ihm die Bombe in der Hand explodiert ist.
Hoffnung weckt Lehrerin Nada Vreček
Obwohl die Einheimischen, die im Tal Dragarska dolina geblieben sind, mitten in ein Kriegsgebiet geraten sind, konnten sie sich nicht einmal vorstellen, was mit ihren Dorfgenossen, Nachbarn oder Angehörigen passiert, die durch die italienische Besatzer in die Internierung verschleppt wurden. Traurige Geschichten der Kinder, die diese Gräuel erlebt haben, sind sogar in zwei Werken gesammelt: Pričevanja rabskih internirancev (1942–1943) (Aussagen Internierter auf der Insel Rab (1942–1943), Anmerkung der Übersetzerin) und Mladi rod Kočevske proti okupatorju (Der junge Stamm von Kočevska/Gottschee-Land gegen den Besatzer, Anmerkung der Übersetzerin). Traurige, verängstigte, ausgehungerte und in mehreren Fällen verwaiste Kinder sind im Jahr 1943 nach der Kapitulation Italiens nach ihre Heimatortschaften zurückgekehrt. Die Heimkehr war schwer, die Waisen haben ihre überlebenden Verwandten unter ihrem Dach untergebracht, z. B. in zahlreichen Häusern in Trava haben mehrere Familien zusammengelebt, sogar bis zu vier.
Um eine schönere Zukunft der Kinder – sogar für jene, die aus der Internierung zurückgekehrt sind als auch diejenigen, die den Krieg in ihren Heimatortschaften überlebt haben – hat sich Lehrerin Nada Vreček gekümmert. Sie hat gleichzeitig etwa achtzig Kinder unterrichtet. »Nach dem Kriegsende sind wir alle ausgewandert, da wir nach dem Kriegsende in die Schulen gegangen sind, Nada hat für uns alle Schulen besorgt,« erzählt Marta Steiner, die zusammen mit meinen Großeltern das Gymnasium in Ribnica besucht hat. Diese heranwachsende Jugend hat in der Nachkriegszeit meist ausgebildete Kräfte hervorgebracht und die Arbeit hat auf sie schon nach dem abgeschlossenen Gymnasium gewartet. Die Tatsache, dass Nada Vreček für ihre Arbeit mehrere Preise erhalten hat und dass die Generationen, die sie unterrichtet hat, ihr noch heute dankbar sind, spricht für sich selbst. Im Feuerwehrheim in Trava haben ihr die Einheimischen eine Gedächtnisecke gewidmet, die sowohl schöne als auch bittere Erinnerungen an diese schweren Zeiten miteinander verbindet.
Es könnte noch viel über die Geschichten geschrieben werden, die ich während meiner Forschungsarbeit gehört habe, nun bin ich aber der Meinung, dass in dieser kurzen Notiz einige wichtigere Informationen zusammengefasst sind. Eine weitere Arbeit ist natürlich nicht ausgeschlossen, weil ich es ausnehmend wichtig finde, Erinnerung an dieses dunkle Teilchen unseren Erbes zu bewahren. Es muss uns bewusst sein, dass die letzte Generation, die über den Krieg noch in erster Person erzählen kann, den Herbst ihres Lebens angetreten hat, deswegen werden (zu) viele solcher Geschichten einfach in Vergessenheit geraten. Es liegt an uns, dass wir sie in dieser wertvollen Zeit, die uns geblieben ist, versuchen zu hören und je mehrere davon zu bewahren.
Zum Schluss möchte ich mich ganz herzlich bei meinen drei GesprächspartnerInnen bedanken, die mir ohne Schwanken ihre Erinnerungen anvertraut haben: Frau Marta Steiner und Herrn Rudolf Malnar aus Trava, die mich gern zu sich nach Hause eingeladen haben, sowie meiner Großmutter Anica Troha, die nach dem Kriegsende nach Draga zugezogen ist und mir als Erste über diese Ortschaften erzählt hat.
Quellen:
– Slavko Ožbolt v sodelovanju z Marto Steiner in Ireno Klepac, ‘Vas Trava.’ Zloženka, izdana s pomočjo donatorja Gojka Kende. Občina Loški Potok, Trava 2008.
– Suzana Kordiš, Kje so moje korenine: Troha. Neizdani dokument o izvoru priimka, Stari Kot 2007.
– Marta Steiner, geboren 1932 in Trava, kehrte nach jahrzehntelanger Arbeit und Leben im Ausland und anderswo in Slowenien nach Trava zurück, wo sie seit über 30 Jahren lebt. Persönliche Kommunikation, Trava. 10. 2021.
– Interviews mit: Marta Steiner, Persönliche Kommunikation, Trava, 2021; Anica Troha, geboren 1935 in Zagorje, zog 1945 im Alter von 10 Jahren in das Haus ihrer Tante in Draga. Persönliche Kommunikation, Trava, 2021; Rudolf Malnar, geboren 1936 in Trava. Persönliche Kommunikation, Trava, 2021.
– Lucija Miklič, ur., Kronika vasi Stari in Novi Kot. Samozaložba, Stari Kot 2002, str. 28-29.
– Herman Janež, ur., Pričevanja rabskih internirancev (1942–1943). ČZP Kmečki glas, Ljubljana 1985.
– Bogomil Gerlanc, ur., Mladi rod Kočevske proti okupatorju. Mladinska knjiga, Ljubljana 1953.
In unserem vorherigen Beitrag können Sie mehr über die Weihnachtszeit in Kočevska (Gottschee) lesen.
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